
Im Onkologischen Zentrum des Rems-Murr-Klinikums Winnenden kommen auch Akupunktur, Chinesische Medizin oder QiGong erfolgreich zum Einsatz
Winnenden. Wer Krebs hört, denkt an Chemotherapie und Bestrahlung, sieht Menschen an der Infusion oder im OP. Im Rems-Murr-Klinikum Winnenden ist das Instrumentarium gegen Krebserkrankungen deutlich breiter – und manchmal auch viel feiner: Hauchdünne, stahlglänzende Akupunkturnadeln hält Oberärztin Dr. Ramona Hein griffbereit, wenn sie im Onkologischen Zentrum zur Therapie schreitet. Außerdem hat sie eine lange Checkliste von Vitamin A bis Schüssler Salze bei sich. Damit klopft sie bei ihren Patienten an und erstmal ab: Was nehmen sie bereits ein? Was könnte noch helfen? Welche Kräutertees oder Spurenelemente lässt man lieber mal weg, weil sie sich nicht mit anderen Mitteln vertragen?
Komplementärmedizin nennt sich, was Dr. Ramona Hein, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie, internistische Onkologie, Pneumologie und Palliativmedizin seit Juli im Winnender Klinikum noch intensiver einsetzt bei Menschen mit Krebserkrankungen – gemeinsam mit Dr. Hans Lampe, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin. Beide arbeiten im Team von Onkologie-Chefarzt Prof. Markus Schaich, der die Komplementärmedizin bei Krebserkrankungen 2013 noch im Kreiskrankenhaus Waiblingen aufgebaut hat und seit 2014 im Klinikum Winnenden ausbaut.
„Fast jeder Krebspatient und vor allem die Patientinnen fragen uns: Was kann ich noch tun über die Schulmedizin hinaus?“, sagt Schaich. „Da zucken wir nicht nur mit den Schultern, sondern machen ein seriöses ganzheitliches Angebot und sehen auch bei unseren Zertifizierungen, dass die Auditoren unser Therapiespektrum aus Musik-, Kunst-, und Sporttherapie, sowie Chinesischer Medizin, Akupunktur und Ernährungsberatung sehr positiv wahrnehmen.“ Schaich räumt dabei auch gleich mit einem populären Vorurteil auf: „Wir machen hier keine Alternativmedizin, wie es oft im Volksmund heißt. Komplementärmedizin bedeutet: Wir nutzen Methoden, die das Repertoire der Schulmedizin sinnvoll und nachweislich wirksam erweitern und ergänzen.“
Welche Methoden sind das in der Krebsbehandlung?
Dr. Lampe, international anerkannte Koryphäe auf diesem Gebiet und parallel zu seinen Visiten in Winnenden auch an der Universität Rostock tätig, nennt hier insbesondere die chinesische Medizin (TCM), welche die westlichen Krebstherapien perfekt flankiert. Gerade eben hat er dazu mit Kollegen der Harvard Universität und der Universität Hongkong eine Studie zur Kombination von Akupunktur, Akupressur oder QiGong mit schulmedizinischer Chemotherapie veröffentlicht und ein Buchkapitel über Schmerztherapie mit Chinesischer Medizin in der Onkologie geschrieben.
Fünf Säulen zählt die Chinesische Therapie: Pharmakologie mit Auskochungen pflanzlicher, tierischer oder mineralischer Substanzen (sogenannte Dekokte, die Ärzte in kontrollierter Qualität aus Spezialapotheken beziehen), Akupunktur, Diätetik, und QiGong. „Als Ärzte nutzen wir davon vor allem die Akupunktur bei akuten Beschwerden und Dekokte bei chronischen Prozessen“, so Lampe. „Diätetik, also Ernährung, kann die Pharmakologie wirkungsvoll unterstützen oder auch behindern. QiGong-Übungen benötigen einige Monate des Lernens und sind besonders wirksam in der Prävention und im Stabilisieren von Therapieerfolgen.“
Soweit die Theorie. Kollegin Hein erläutert, wie sie im komplementären Therapiealltag vorgeht. Denn auch sie weiß, dass viele an Krebs erkrankte Menschen mit natürlichen Methoden ihren Körper und ihre Seele unterstützen möchten – während und nach der tumorspezifischen Therapie. „Um Krebszellen zu töten, braucht es stark wirksame Medikamente, die leider auch Nebenwirkungen haben. Komplementäre Medizin kann helfen, diese Nebenwirkungen besser zu überstehen.“ Dabei ist weniger oft mehr, denn viele Patientinnen und Patienten sind höchst motiviert, etwas zu tun und davon möglichst viel. „Da nehme ich Druck raus und schaue mir in einer individuellen Beratung erst einmal an: Was braucht der Patient in seiner speziellen Situation und was nicht? Komplementärmedizin bedeutet nämlich auch: Wir lassen etwas weg, weil es stört“, sagt Hein.
Gutes Beispiel ist das Allerwelts-Mineral Zink – steckt in jeder Multivitamintablette, und jeder boostert damit im Winter sein Immunsystem. „Zink kann vor Entzündungen der Mundschleimhaut während einer Strahlentherapie helfen. Die dauerhafte Einnahme von Zink ohne nachgewiesenen Mangel sollte nicht erfolgen, da vermehrt Prostatakrebs und Blasenentzündungen auftreten können”, berichtet Hein. Genau hinschauen gilt auch für Heilpflanzen-Extrakte, die mit einem Chemotherapie-Medikament in Wechselwirkung treten können – und so die Wirkung des Krebsmedikaments schwächen oder dessen Nebenwirkungen sogar verstärken. Beides ist gefährlich. Deshalb durchforstet Oberärztin Hein gründlich Hausapotheke, Küchenschrank und Kräuterregal ihrer Patienten. „Viele wissen ja gar nicht, was ihnen schaden könnte, und manchen ist es peinlich zu sagen, was sie noch an Mitteln einnehmen. Da ist Feingefühl und Psychologie gefragt.“
Fingerspitzengefühl braucht sie auch, wenn sie akupunktiert. Für den punktgenauen Einsatz der Spezialnadeln kommen verschiedene Körperregionen in Frage je nach Beschwerde und Ziel. Sehr häufig wendet Ramona Hein die Akupunktur an, um die häufigen Begleiterscheinungen einer Chemotherapie zu dämpfen: Übelkeit und Erbrechen. „Das wirkt sehr gut, wenn man die richtigen Stellen nadelt und damit stimuliert. Wir schulen unsere Patienten sogar darin, dass sie die Akupunkturpunkte selbst mit Akupressur behandeln. Auch damit machen wir sehr gute Erfahrungen, und die Patienten können die Akupressur zum Beispiel selbst durchführen in der Wartezone vor ihrer Chemo“, sagt die Oberärztin.
Hein berichtet von einer Patientin mit Eierstocktumor, bei der aufgrund Chemotherapie Störungen in den Nervenzellen auftraten. „Solche Polyneuropathien treten leider auf, weil die Medikamente nicht nur die Tumorzellen angreifen, sondern auch Nervenzellen schädigen können. Das ist meist reversibel mit der Zeit, aber in der akuten Phase kann es beispielsweise zu Krämpfen in Händen oder Füßen führen.“ Im Fall dieser Patienten war es so, dass sie sich aufgrund der Krämpfe in den Füßen nicht mehr traute, Auto zu fahren. „Mit Akupunktur in definierten Abständen konnten wir ihr sehr gut helfen, damit die Krämpfe nachließen und die Lebensqualität wieder stieg. Das ist für Krebspatienten ein enorm wichtiger Erfolg, um im Alltag Erleichterung zu erfahren.“
Info: Interdisziplinäre Therapie im Onkologischen Zentrum
Im Rems-Murr-Klinikum Winnenden verknüpft das zertifizierte Onkologische Zentrum (Onkologie = Lehre von den Geschwulstkrankheiten) unter Leitung von Chefarzt Prof. Dr. Markus Schaich alle Organkrebszentren (Brustkrebszentrum, Darmkrebszentrum, Gynäkologisches Krebszentrum, Leukämie- und Lymphomzentrum, Pankreaskrebszentrum, Prostatakrebszentrum) zu einem engmaschigen Netzwerk an Einrichtungen und Fachkräften aus Schul- und Komplementärmedizin. Die fachmedizinische Behandlung wird dabei ergänzt durch ein interdisziplinäres, interprofessionelles Team aus onkologischer Fachpflege, Psychoonkologen, Physiotherapeuten, Kunst- und Musiktherapeuten sowie Ernährungs- und Sozialberatung.
Dazu gehören auch Mitmach-Angebote für Krebspatientinnen und -patienten während und nach der Therapie: Jeden Dienstag um 14.00 Uhr trifft sich die onkologische Sportgruppe, mittwochs um 15.15 Uhr wird QiGong angeboten.
Weitere Informationen über die Rems-Murr-Kliniken gibt es im Internet unter www.rems-murr-kliniken.de und in den Social-Media-Kanälen Facebook, Instagram und YouTube.